rbn ,

Dass im Kapitalismus sehr vieles falsch läuft, stimme ich zu und dass es dringend an der Zeit ist, da gegenzusteuern ebenfalls.

Ich weiß aber ehrlich gesagt nicht, ob ein System ohne Macht und ohne Machtgefälle wirklich realistisch ist. Macht entsteht ja ständig und überall, im Großen aber auch im Kleinen. Eltern haben Macht über ihre Kinder, Partner haben gegenseitig Macht übereinander, starke Menschen haben körperliche Macht gegenüber schwächeren, beliebte Menschen haben soziale Macht gegenüber Außenseitern.

Und obwohl das Machtgefüge dort nicht direkt vergleichbar ist mit dem zwischen einem Präsidenten oder Milliardär zu einem Obdachlosen oder Kranken, so kann auch diese Macht missbraucht werden, wenn es keine verbindlichen Regeln gibt. In unserem aktuellen System kommen die armen und schwachen schon zu kurz. Ob die in einer Gesellschaft ohne Regeln wirklich besser dran wären, kann ich mir nicht so recht vorstellen.

Nehmen wir mal an, es gäbe einen Menschen, der nicht besonders intelligent, nicht besonders stark, nicht besonders talentiert und auch noch unbeliebt ist. Wenn dieser arme Tropf dann auch noch krank wird oder in eine andere Notlage gerät, wie wäre in der Anarchie sichergestellt, dass ihm trotzdem Hilfe zuteil wird? In dieser Situation haben alle anderen Menschen - ob sie es wollen oder nicht - Macht über ihn. Sie haben sein Schicksal in der Hand, könnten ihm helfen aber auch einfach sterben lassen. Verbindliche Steuern, Sozialabgaben, Gesundheitssystem kann es ja eigentlich im Anarchismus nicht geben.

Vielleicht fehlt in meinem Kopf immer noch ein entscheidendes Puzzlestück, aber eine Welt ohne Regeln würde in meiner Vorstellung vor allem den Mächtigen nützen. Nicht umsonst schreien ja die meisten konservativen Parteien nach Deregulierung und Liberalisierung während die linken und grünen Strömungen mit ihren Ansätzen als "Verbotsparteien" verschrieben sind.

Gibt es zu dem Schilderbeispiel, das du angebracht hattest, Studien, die auf eine generelle Kausalität zwischen "weniger verbindliche Regeln" und "besserem miteinander" hindeuten? Und mal angekommen, dieser Zusammenhang ließe sich auf andere Bereiche übertragen, ist das deshalb gleichbedeutend mit "keine verbindlichen Regeln" und "bestem Miteinander"? Vielleicht sind auch nur einzelne Bereiche über das Optimum hinaus bzw. überreguliert.

Ansonsten könnte mir auch gut vorstellen, dass die Abwesenheit von Regeln für uns, die so an Regulierung gewöhnt sind, so überfordernd sein kann, dass wir schnell zu Überkompensation neigen. Gibt es beispielsweise an einem Gemüsestand eine Vertrauenskasse mit "pay what you want", so baut das denke ich vor allem dadurch so einen großen sozialen Druck auf, nicht geizig zu wirken, da das so selten vorkommt. Wenn es anonymer wird oder das Phänomen alltäglicher, so nimmt die Großzügigkeit relativ schnell ab ("Was, der Obdachlose will schon wieder Geld? Dem habe ich doch erst letztes Jahr 50 Cent gegeben.").

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