Was geht eigentlich auf Reddit mit den ganzen Atomkraft-Fans ab?

Ich bin mal wieder auf dieses wunderbare Subset der Reddit-Nutzer gestoßen und mal ganz ehrlich - das ist doch eine bezahlte Desinfo-Kampagne oder sonstwie über ein anderes Subreddit organisiert, oder? Bei wirklich jedem Energie-Thema (wie etwa hier) kommen plötzlich zig Leute an, die sonst nie im Subreddit unterwegs sind und erstmal "Schlimm, dass Deutschland die Atomkraftwerke abgeschaltet hat" posten. Und dann hauen im Pulk haufenweise Posts raus, die irgendwie zwischen Missinformation und ChatGPT liegen. Ernsthaft: Wer schreibt bitte so wenn nicht ChatGPT?

This is clearly a problem that needs significant investment and converted effort to solve. However, I would reiterate that these problems simply aren't applicable to modern nuclear power generation approaches. The mistakes of the past when we understood little of the security requirements of the technology cannot be assumed to be representative of the safety of newer plants.

Das ganze wird kombiniert mit einer sehr überzeugten Ahnungslosigkeit. Es ist ja eh schon erstaunlich, dass so viele englischsprachige Leute sich für die deutsche Energieinfrastruktur interessieren und dann genau wissen, wie sich der deutsche Energiemix nach dem Atomausstieg zusammensetzt, aber es ist halt schon erstaunlich, dass die alle gnadenlos falsch liegen und wirklich alle falsche Infos verbreiten.

Also: Hat einer von euch eine Ahnung, was dort los ist?

GregorGizeh ,

Also die grundsätzliche Logik dass wir lieber Atomkraft anstatt Kohle nutzen sollten um die Umwelt zu schonen macht komplett Sinn. Der Abfall der entsteht ist vergleichsweise gering, moderne Reaktoren sind wirklich sehr sicher, insbesondere im europäischen Festland außerhalb von erdbeben- und tsunamigebieten.

Natürlich muss komplett saubere und erneuerbare Energie das Ziel sein, aber in der Zwischenzeit die Reaktoren abzuschalten und dafür mehr Kohle zu verbrennen ist auf jeden Fall die schlechtere Idee.

Nachdem das gesagt ist, den Neubau befürworte ich natürlich auch nicht und bin mir auch bewusst dass beträchtlicher ökologischer Schaden bei der Förderung des Brennstoffs entsteht. Die Lagerung des Abfalls ist auch ein langfristiges Problem, aber doch verschwindend gering angesichts der Alternative des unmittelbar bevorstehenden Kollaps des Ökosystems welches uns am leben hält.

TLDR: Fusion > EE > Nuklear > Fossile Brennstoffe

bremen15 ,

Atomkraft ist viel teurer als die Alternativen. Bei der Gewinnung der Rohstoffe für die brennstäbe wird soviel giftiger Abfall frei dass ganze Landstriche (in anderen Ländern, nicht Deutschland) verwüstet und unbenutzbar werden. Also überhaupt keine saubere Energie.

bobtimus_prime ,

Als Fan von dezentraler Energieversorgung denke ich eher dass EE >= Fusion gelten sollte, aber ansonsten kann ich dir da nur beipflichten!

accideath ,

Fusion ist eh ein Fiebertraum, den wir zu unseren Lebzeiten nicht miterleben werden.

rurudotorg ,

p11B (Protonen-Bor-11-Fusion) ist da wohl das neue Zauberwort...

Scheint wohl wesentlich einfacher als Deuterium/Tritium/3He Fusion zu sein - und Bor und Protonen (H+) gibt's wie Sand am Meer.

Die Technik ist nutzbar nur noch wenige Jahrzehnte von uns entfernt, wie die gesamte Fusionstechnologie...

GregorGizeh ,

EE ist natürlich noch nachhaltiger, aber weniger praktisch in der Anwendung. Braucht viel Platz, Infrastruktur und Batterien um eine konstant gleichbleibende Versorgung zu gewähren, und ist daher eher weniger geeignet um zB Vehikel jeglicher Art zu betreiben oder in Bereichen mit inkompatiblen Umweltbedingungen für Wind und Solarenergie. Von daher glaube ich dass, wenn wir es endlich mal zum laufen kriegen, fusionsenergie schlicht praktikabler ist, aber natürlich in Kombination mit EE eingesetzt werden sollte.

zaphod ,

Natürlich muss komplett saubere und erneuerbare Energie das Ziel sein, aber in der Zwischenzeit die Reaktoren abzuschalten und dafür mehr Kohle zu verbrennen ist auf jeden Fall die schlechtere Idee.

Aber genau das ist die immer wieder verbreitete Falschinformation darüber, was in Deutschland passiert. Es wird immer weniger Kohle verbrannt, nicht mehr. Ja, ich weiß man hätte Atomkraftwerke länger laufen lassen und stattdessen Kohlekraftwerke abschalten können, faktisch gab es einen gleichzeitigen Atom- und Kohleausstieg, der Atomausstieg war nur früher abgeschlossen, dadurch wird aber nicht mehr Kohle verbrannt sondern trotzdem weniger.

stuner , (Bearbeitet )

Der Punkt ist, dass Deutschland im Jahr 2000 ca. 170 TWh/Jahr an relativ sauberem Atomstrom produzierte. Diese Kapazität wurde schnell reduziert während die Erneuerbaren ausgebaut wurden und die Stromproduktion mit Kohle langsam reduziert wurde. 2023 wurden in Deutschland noch 135 TWh Kohlestrom produziert.

Eine alternative Strategie wäre ein Ausbau der Erneuerbaren und ein schneller Ausstieg aus der Kohle gewesen. In einem zweiten Schritt hätte man dann aus der Atomenergie aussteigen können.

Ich denke die zweite Strategie wäre sowohl aus ökologischer als auch aus gesundheitlicher Sicht eine bessere Wahl gewesen. Wenn man von einer Todesrate von 25 Personen pro TWh bei Kohlestrom ausgeht, dann hätte man mit den 170 TWh* Atomstrom ca. 4000 Tote pro Jahr vermeiden können! Aber weil die Atomenergie ein viel besseres Feindbild abgibt, hat man den Ausstieg aus der Kohle verschleppt.

*Ein Weiterbetrieb wäre aber wohl nicht bei allen Kernkraftwerken sinnvoll gewesen.

zaphod ,

Das eine ist was eventuell Sinnvoll gewesen wäre, das Andere ist die Realität. Im Jahr 2000 haben sich Leute um Peak-Oil Sorgen gemacht, Kohleausstieg war damals nicht drin, Klimawandel hat niemanden interessiert. Aber vor Atomkraft hatten Leute Angst, ging sogar soweit, dass in den 80ern Leute eine Anti-Atomkraft-Partei gegründet haben, gibt's immer noch, nennen sich die Grünen oder so. Ohne Atomausstieg hätten wir jetzt einen Energiemix mit 20-30% Atomkraft und 30% Kohle, vielleicht auch deutlich mehr Gas, wenn ich mir andere Länder so ansehe.

stuner ,

Ja, ein Teil des Problems ist wohl, dass es deutlich einfacher ist, die Gefahren der Atomkraft zu vermitteln als das bei den CO2 Emissionen oder der Kohleverbrennung ist.

GregorGizeh ,

Die deutsche anti atom Bewegung ist infolge von Tschernobyl entstanden, die Panik vor dem Fallout war damals deutlich greifbarer als heute. Und deswegen auch einfacher zu vermitteln und Leute zu überzeugen

zaphod ,

Die ist älter, die Grünen haben sich 1980 gegründet, damals schon explizit als Anti-Atomkraft-Partei, heißt die Bewegung ist noch viel älter, Ursprünge eher in den 60ern. Tschernobyl hat das Thema nur viel größer gemacht und mehr in die Mitte der Gesellschaft gebracht. Meine Theorie ist, dass das ursprünglich aus der Friedensbewegung kommt und man Atomwaffen und Atomenergie in den selben Topf geschmissen hat.

GregorGizeh ,

Interessant, dass die bereits vor dem Unfall existierten wusste ich nicht, unter dem Blickwinkel würde ich deiner Vermutung zustimmen dass der Ursprung vermutlich im atomwaffen-schreck liegt.

rurudotorg ,

In Harrisburg Three Mile Island oder so gab es einen beinahe GAU, Sellafield (UK) verstrahlte schon allgemein bekannt die Nordsee, die überirdischen Kernwaffentests von wenigen Jahrzehnten hatte die Hintergrundstrahlung bereits verdoppelt und die Kernkraft hatte (als "Sprengstofflieferant" für Kernwaffen, was heute immer noch eine Hauptmotivation für staatlich geförderte Kernreaktoren ist) in Zeiten des NATO Doppelbeschlusses und der Pershing 2 Stationierung in Deutschland im Kalten Krieg lange vor Tschernobyl wirklich keinen guten Ruf.

kosh ,

Was halt auch zeigt wie irrational Leute seien können. Atomkraft ist was Tote / Kwh angeht die sicherste Form der Energieerzeugung. Kohle tötet jedes Jahr durch Luftschmutzung abertausende Menschen (bzw. verkürzt deren Leben).

aronian ,

Ein so spätere Atomausstieg hätte weniger Kohle verbrannt

zaphod ,

Jein, nur wenn man dann Kohle auch deutlich früher ersetzt hätte, und genau da sehe ich nicht, dass das passiert wäre. Gleichzeitig wäre aus Altersgründen sicherlich das eine oder andere AKW trotzdem abgeschaltet worden, da hätte es dann Neubauten gebraucht um Kernkraft wenigstens konstant zu halten. Das letzte AKW in Deutschland ging 1989 ans Netz, effektiv hatte damit der Ausstieg angefangen.

kosh ,

Jein, nur wenn man dann Kohle auch deutlich früher ersetzt hätte, und genau da sehe ich nicht, dass das passiert wäre.

Schau Dir mal den Energiemix über die Jahre in Deutschland an. Ein erheblicher Teil des Anstieg der Erneuerbaren "ging dafür drauf" den Ausstieg aus der Atomkraft auszugleichen:

https://braunkohle.de/wp-content/uploads/2021/04/Entwicklung-der-Bruttostromerzeugung-in-Deutschland.pdf

Atomkraft ist sicherer und sauberer als Kohle aber aufgrund von irrationaler Angst haben wir uns für Kohle anstatt Atomkraft entschieden und es ist und bleibt ein gigantischer Fehler.

zaphod ,

Der "ging nicht drauf", die Erneuerbaren wurden genau dafür gebaut, um Atomkraft zu ersetzen. Die These die ich aufgestellt habe ist: Ohne Atomausstieg hätte es deutlich weniger Ausbau an Erneuerbaren gegeben und wir würden jetzt vermutlich noch ähnlich viel Kohle verbrennen wie vor 10-20 Jahren. Für den Atomausstieg gab es eine Mehrheit, für Kohle hat sich damals niemand so richtig interessiert. Im Nachhinein lässt sich vieles sagen, aber man sollte dabei die damalige Realität nicht ignorieren.

kosh ,

Für den Atomausstieg gab es eine Mehrheit, für Kohle hat sich damals niemand so richtig interessiert.

Und da liegt halt der Fehler.

Es geht hier ja darum aus den Fehlern zu lernen und die irrationale Angst vor Atomenergie und die vergleichsweise entspannte Haltung gegeünber Kohle, ist die Ursache. Leider haben die Grünen in Deutschland das immer noch nicht richtig gerlernt, wie man z.B. an der Haltung gegenüber Atomstrom in der EU sieht.

kosh ,

???

Wie kann man bitte diese einfach Logik nicht verstehen:

Atomkraftwerke produzieren X Megatonnen Strom pro Jahr. Dieses X kann man sofort von der Kohle abbauen, indem man entsprechend Kohlkraftwerke abschaltet.

DarkThoughts ,

Was mir auch immer auffällt ist wie weit die Kommentare teilweise ausholen, auch wenn das übergreifende Thema gar nicht direkt eine Verbindung zu Atomkraft hat. Als ob man irgendwie gleich alle Punkte abdecken müsste, die man kritisieren könnte (ganz gleich ob sie überhaupt stimmen, z.b. die angeblich niedrigen Kosten / bang for your buck werden sehr oft erwähnt).

Diplomjodler3 ,

Astroturfing hat sicherlich einiges damit zu tun, aber es gibt halt auch viele Vernagelte, die gern auf den Scheiß reinfallen.

RalfWausE ,

Es gibt halt -trotz der mittlerweile bei vielen im Kopf vorhandenen Schere - immer noch Menschen die selber denken und vielleicht zu anderen Schlüssen kommen als man selber. Das so etwas dann direkt als Kampagne, Botnetzwerk oder ähnliches wahrgenommen wird zeigt nur mal wieder wie krank die heutige Mainstream Netzkultur ist.

muelltonne OP ,
@muelltonne@discuss.tchncs.de avatar

Wie beschrieben: Gefühlt hat das wenig mit "selbst denken" zu tun, wenn in Threads urplötzlich zig Leute auftauchen, die eine bestimmte Agenda pushen.

Iapar ,

Sie selbst denken aber das sie ganz clever selbst drauf gekommen sind.

taladar ,

Das scheint generell irgendwie bei den Leuten am weitesten verbreitet zu sein die Informationen nur nachplappern (was man oft an der Uniformität der Formulierungen sehen kann).

Emotet ,
@Emotet@slrpnk.net avatar

Selber denken und Schlüsse ziehen sind essenzielle Werkzeuge eines erwachsenen Menschen. Aber dazu gehört auch, sich mit den Fakten auseinanderzusetzen und Details zu überdenken, die man eventuell bisher falsch verstanden hat. Da geht es dann nicht um Meinung, sondern um kalte Fakten.

Es ist simpel, sich von irgendwelchen Leuten mit niederen Absichten vorplappern zu lassen "Kack Mainstreammeinung, die haben doch keine Ahnung! Meine Lösung ist viel einfacher und sexy!" und sich dann einzureden, dass man einer der wenigen Menschen ist, die die Welt wirklich verstanden haben. Ist halt meistens nicht so.

aard ,
@aard@kyu.de avatar

Ich hatte da frueher auch oefter mal die Diskussionen - das sind Leute die Atomkraft innerhalb einer idealen Umgebung sehen, wo es tatsaechlich bis vor kurzem noch eine gute Option gewesen waere, aber ausblenden dass ein alter Tischler die Laender in denen das halbwegs sauber gehandhabt wird an einer Hand abzehlen kann.

Ich selber lebe seit langem in Finnland - Atomkraft hier sehe ich komplett unproblematisch, zumindest den Bestand. Neubau macht jetzt denke ich auch keinen Sinn mehr, und ich denke das haben die Verantwortlichen mit dem neulich ans Netz gegangenen Reaktor (nach massiven Verzoegerungen und Kostensteigerungen) auch kapiert. Aber: Die Gegend hier ist geologisch extrem stabil, und das Endlagerproblem ist ordentlich geloest.

Fuer Deutschland sehe ich dagegen Atomkraft als unmachbar an - da bekommt man nicht mal ne Stromtrasse Nord-Sued hin, Endlagerversuche wurden mehrmals verkackt, politische Situation ist allgemein eine Katastrophe mit einem Misch aus NIMBY und Korruption.

federalreverse , (Bearbeitet )

Das fällt mir bei Atomkraftthemen forenübergreifend auf, egal ob Heise, Ars Technica oder auch Lemmy.

Bei Heise sind es immer wieder die gleichen drei Konten, die den gleichen Schmus schreiben, egal, wie oft sie die Gegenargumente gehört haben.

Bei Ars war ich letztens sehr überrascht über die Negativität und die Uninformiertheit der initialen Kommentare.

Bei Lemmy werden Kontra-Nuklear-Postings in !climate oft auch gnadenlos nach unten gewählt.

Diese Kampagnen funktionieren aber weitgehend organisch. Ein Industrie-Thinktank à la EIKE Verzeihung, bearbeitet: Nuclearia denkt sich Argumente aus und die werden dann organisch ganz gut weiterverbreitet.

storcholus ,

Echt jetzt? In einer Solarpunk Instanz sind sie pro nuklear? Sind die Ironieresistent?

Nacktmull ,
@Nacktmull@lemmy.world avatar

Die nuclear bros versuchen schon länger ganz gezielt solarpunk communities mithilfe des Narrativs vom sauberen Atomstrom zu unterwandern. Das war damals auf reddit ziemlich heftig, mittlerweile bin ich dort nicht mehr unterwegs.

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