Einschüchterung, Haftstrafen, Exil: Wer Kritik an Chinas Umgang mit der Corona-Pandemie übt, bekommt Ärger. Noch heute kämpfen viele mit den Folgen. ( www.zdf.de )

"Stell' Dir vor, Du wachst auf und hast Dich in eine Raupe verwandelt. Deine kurzen Gliedmaßen berühren kaum den Boden, Deine Augen sind blind und Deine Zunge ist abgeschnitten. Du bist gefangen in einem leeren Raum aus Beton, spürst nichts außer der kalten Luft auf Deiner Haut und über Dir hängt ein riesiges Licht", so beschreibt Xia Chaochuan ihre Tage in einem chinesischen Gefängnis. 37 Tage Einzelhaft und später nochmal 28 Tage, unter anderem, weil sie im Winter 2022 an den "White Paper"-Protesten teilgenommen hatte.

Die leeren weißen Blätter waren zum Symbol geworden für die größten Demonstrationen seit 1989, die als Protest gegen die extremen Corona-Maßnahmen begannen und sich zum Protest gegen die kommunistische Führung ausweiteten - getragen vor allem von jungen Frauen. Frauen wie Xia Chaochuan mussten einen hohen Preis für ihren Mut zahlen: Verhaftungen, mentale und physische Folter, Druck auf sie selbst, auf Freunde und Familie - bis heute.

In den Tagen nach den Protesten kontrollierte die Polizei willkürlich die Handys von Passanten, auf der Suche nach Fotos der Proteste oder in China verbotenen westlichen Messenger-Apps.
Xia Chaochuan erzählte vor wenigen Tagen auf dem Genfer Gipfel für Menschenrechte und Demokratie von ihren Erlebnissen. Das kann sie, weil sie inzwischen nicht mehr in China lebt. Die Aktivistin für Frauen- und LGBT-Rechte hat in Europa politisches Asyl beantragt.

Bloggerin für vier Jahre in Haft

Viele Chinesinnen und Chinesen kämpfen bis heute mit den wirtschaftlichen oder psychischen Folgen der harten Null-Covid-Politik ihres Landes. Sorgen gemacht haben sich im In- wie im Ausland viele um Zhang Zhan. Die chinesische Bloggerin hatte über die Corona-Lockdowns in Wuhan berichtet und war zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Der Vorwurf: sie habe "Streit geschürt und Ärger provoziert", in China die gängige Begründung der Staatsführung für in irgendeiner Art unbequeme Menschen.

Die Botschaft der USA in China veröffentlichte ein Pressestatement und verurteilte das Handeln der Regierung: "Wir fordern die Volksrepublik China erneut auf, die Menschenrechte von Frau Zhang zu achten und die restriktiven Maßnahmen, denen sie und alle Journalisten in der Volksrepublik China ausgesetzt sind, wie Überwachung, Zensur, Schikanen und Einschüchterung, unverzüglich zu beenden."

Mitte Mai sollte sie freikommen, ihr genauer Aufenthaltsort war lange unklar. Am Dienstag dann endlich auf der Plattform X ein Lebenszeichen von ihr: Sie sei bei ihrer Familie, habe aber noch immer "eingeschränkte Freiheit."

Virologe wird aus seinem Labor ausgesperrt

Neben Journalistinnen und Journalisten spüren auch Forschende bis heute die Konsequenzen der Pandemie. Vor ein paar Wochen bekam ein Foto von Zhang Yongzhen viel Aufmerksamkeit, das er auf seinem Social-Media-Profil bei Weibo gepostet hatte: Der Virologe liegt auf Pappkartons vor der Eingangstür seines Labors, links und rechts von ihm jeweils zwei Sicherheitsleute in Uniform und Mundschutz.

Zhang Yongzhen hatte Anfang Januar 2020 - in den ersten Tagen der Pandemie - eine Probe eines Corona-Patienten aus Wuhan erhalten und das Virus entschlüsselt. Er warnte die chinesischen Behörden in einer internen Mitteilung vor der möglichen Ausbreitung. Die Reaktion: Am nächsten Tag wurde sein Labor geschlossen.

Er veröffentlichte die Sequenz wenige Tage später, obwohl die Gesundheitsbehörden dies nicht genehmigt hatten. Im Ausland wurde er dafür mit Preisen ausgezeichnet, denn seine Forschung half zum Beispiel, Tests oder Impfungen zu entwickeln. In China hingegen verlor er einen Posten im Zentrum für Seuchenkontrolle und -prävention und hat bis heute immer wieder Schwierigkeiten.

Sein Protest dieses Mal und die große Aufmerksamkeit, die er damit erregte, zeigte Wirkung: Nach einigen Tagen ließen die Behörden ihn wieder in sein Labor. Das medizinische Zentrum in Shanghai habe "vorläufig zugestimmt", dass er und sein Team weiterarbeiten dürften, schreibt der Forscher auf seinem Account. Es war sicher nicht das letzte Mal, dass Zhang Yongzhen Probleme bekam: Chinesische Wissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die zum Coronavirus forschen, berichten über anhaltenden Druck.

Chinas Null-Covid-Politik

Zu Beginn erfolgreich: Nach dem Ausbruch im zentralchinesischen Wuhan, wo Ende 2019 weltweit die ersten Infektionen entdeckt worden waren, brachten die Behörden die Infektionen im Frühjahr 2020 mit radikalen Maßnahmen unter Kontrolle.

Dann kam Omikron: Die sich schnell verbreitende Omikron-Variante veränderte die Lage, doch China blieb bei seiner Null-Covid-Strategie. Während der Rest der Welt inzwischen nach Wegen suchte, um mit dem Virus zu leben, wollte China jeden einzelnen Fall, jeden Ausbruch mit strengen Maßnahmen im Keim ersticken. Mit harten Maßnahmen wie täglichen Massentests oder der Abriegelung von ganzen Wohnblocks oder gar Städten wegen weniger (Verdachts-) Fälle wurden die Freiheitsrechte der Chinesinnen und Chinesen extrem eingeschränkt.

Die unvorbereitete Öffnung: Im Dezember 2022 verabschiedete die Staatsführung sich dann von einem Tag auf dem anderen von der strikten Null-Covid-Strategie. Nach der unvorbereiteten Öffnung hatte das Virus leichtes Spiel, denn es traf auf eine wenig immunisierte Bevölkerung, in der vor allem von den Alten nicht genug geimpft waren - und auf ein überlastetes Gesundheitssystem.

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China: Fenster zur Not -- (Video, 12 Min.)

Diese brutale Szene wurde heimlich aus einer Wohnung im Osten Chinas aufgenommen. Sie zeigt, wie gnadenlos die chinesische Null-Covid-Politik bis Dezember 2022 durchgesetzt wurde. Warum und wie konnte dieses Video trotz der gewaltsamen Repression gedreht und verbreitet werden?

Am 7. November 2022 wurde in der ostchinesischen Großstadt Linyi ein Mann im Rahmen der Null-Covid-Politik von der Polizei brutal verhaftet. Wie auch andere Bewohner war der Mann trotz der strengen Ausgangssperre in seinem Wohnviertel kurz hinausgegangen, um sich über die Lage zu informieren. Seine Verhaftung wurde von einem Nachbarn gefilmt, der die brutale Szene von seinem Fenster aus beobachtete. Filme und Fotos, aufgenommen durchs eigene Fenster: ein neues Genre, das während des Lockdowns entstand und in China eine politische Tragweite annimmt. Lou Kisiela, Korrespondentin für France 24 in Shanghai, spricht über Entstehung und Verbreitung dieser Videos. Filmemacher und Forscher Benoît Labourdette analysiert die Rolle des Fensters in Malerei und Film.

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