Rechercheportal Jena-SHK: Der AfD-Bürgermeister und die Neonazi-Aktivistin ( rechercheportaljenashk.noblogs.org )

Als Robert Sesselmann 100 Tage im Amt war, frohlockten so manche Medien: Der erste Faschist in einem Landratsamt wäre von der Realität „entzaubert“ worden.

Währenddessen rühmte sich der Thüringer CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt damit, in puncto Abschiebungen und Schikane von Geflüchteten radikaler als die AfD zu sein.

Die Thüringer Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt ezra wies hingegen dieses Jahr darauf hin, dass Vorfälle rechter Gewalt im Landkreis Sonneberg auf einem neuen Höchststand angekommen sind und Nazigegner*innen aus Sonneberg betonten, dass NS-Parolen und Reichsflaggen merklich häufiger vorkommen.

Seit Kurzem gibt es ein neues Detail aus der laufenden Normalisierung von Neonazis und deren Ideologie durch den Aufstieg der Thüringer AfD: Robert Sesselmann ist mit Angela Schaller zusammen, einer der bundesweit bekanntesten Neonazi-Aktivistinnen.

Mit ihr verbrachte er kürzlich seinen Pfingsturlaub an der Ostsee. Auch bei einem Wahlkampfauftritt bei der AfD in Mecklenburg-Vorpommern saß Schaller in der ersten Reihe. Der deutschlandweit erste AfD-Landrat lässt sich somit auch öffentlich von einer Hitler-Verehrerin und antisemitischen Netzwerkerin begleiten.

„Robert Sesselmann fühlt sich herrlich“ war am 21. Mai 2024 über einem Facebook-Beitrag von Robert Sesselmann vermerkt. Der Sonneberger AfD-Landrat verkündete darin, seinen Resturlaub von 2023 in Mecklenburg-Vorpommern zu verbringen und mit dortiger Wahlkampfhilfe zu verbinden.

Mehrere Fotos zeigten ihn bei einem Auftritt mit mecklenburgischen AfD-Landtagsabgeordneten in Grevesmühlen am 17. Mai 2024. Begleitung aus Thüringen schien Sesselmann zunächst nicht mitgebracht zu haben.

Der „Nordkurier“ wies bloß darauf hin, dass auch ein Stadtratskandidat der „Heimat“ (ehemals NPD) aus Wismar teilnahm. Erst auf Fotos der örtlichen AfD war in der ersten Reihe ein bekanntes Gesicht zu erkennen, das auch versierte Thüringer Beobachter*innen nicht ohne Weiteres im Landkreis Nordwestmecklenburg erwartet hätten: Angela Schaller aus Lauscha bei Sonneberg.

Am Tag vor dem „fühlt sich herrlich“-Beitrag postete Sesselmann ein Foto vom Ostseestrand mit einem Gruß an seine Gefolgschaft. Nur einen Tag später postete Angela Schaller dasselbe Foto neben vielen weiteren Bildern vom Strand in Jasmund auf Rügen.

Über Angela Schaller wurde in der Vergangenheit bereits viel berichtet. Neben zahlreichen antifaschistischen Recherchen gab sich Schaller vor allem selber Mühe, ihre Führertreue im Netz kundzutun, wenn sie etwa öffentliche Beiträge mit „Sieg Heil“ beendete.

Kurz aufeinanderfolgende Veröffentlichungen der Antifaschistischen Gruppen Südthüringens und von Thüringen Rechtsaußen kosteten Schaller Ende 2016 ihren Job als Pflegehelferin bei der AWO.

In den Recherchen wurde bereits eine Flut von Schallers Bildern mit Hakenkreuzen, historischer NS-Propaganda, Hitler-Verehrung, Judenhass und vielem mehr veröffentlicht. Schaller fand danach eine Stelle als Pflegehelferin in einer Arztpraxis und setzte ihren Neonazi-Aktivismus ungebrochen fort.

Sie war 2017 eine der AnführerInnen der Neonazi-Kampagne „Thügida“ und setzte sich vor allem für die notorische Shoa-Leugnerin und Neonazi-Ikone Ursula Haverbeck ein.

Auf Mission für Haverbeck reiste Schaller durch Deutschland und trat dabei u.a. auch bei der militanten Splitterpartei „Die Rechte“ als Rednerin auf.

Auf dem für Nazi-Inhalte einst sehr offenen russischen Netzwerk Vkontakte betrieb Schaller eine Solidaritätsseite für Haverbeck. Sie traf sich auch persönlich mit der bekannten Judenhasserin, verbreitete ihre Reden im Netz und organisierte Solidaritätsdemos wie 2018 in Nürnberg.

Hier zeigte der bayerische Neonazi Alfred Schäfer während seiner Rede auf Schallers Versammlung den Hitlergruß. Schaller sah darin selbstredend kein Problem, sondern feierte den Auftritt Schäfers später noch im Netz. Kaum überraschend, da sie zuvor bereits selber Videos verbreitete, auf denen sie den Hitlergruß zeigt.

Im selben Zeitraum begann Schaller gemeinsam mit dem ebenso von antisemitischen Verschwörungsmythen besessenen Axel Schlimper aus Haselbach, monatliche Neonazi-Lagerfeuerabende unter dem Titel „Thing-Kreis“ abzuhalten.

Bis zu einem Streit zwischen Schlimper und Schaller trafen sich die Nazis dafür auf jener Wiese in Themar, auf der 2017-2019 große Rechtsrockfestivals stattfanden.

Beim „Thing-Kreis“ traten neben Schlimper auch Frank Rennicke oder der Blood & Honour-Musiker Tobias „Bienenmann“ Winter auf. Nach dem Streit mit Schlimper führte Schaller die Abende u.a. gemeinsam mit Frank Rennicke in Haselbach fort.

Im Juni 2019 kam der ausgesprochen geltungsbedürftigen Angela Schaller eine neue Rolle zu: Bei der Neuauflage des „Schild & Schwert-Festivals“, kurz „SS-Festival“, im ostsächsischen Ostritz trat sie als Pressesprecherin auf.

Hier versuchte sie dauerlächelnd, der von aggressiven Neonazi-Skinheads und -Kampfsportlern dominierten Veranstaltung ein vermeintlich harmloseres weiblich gelesenes Gesicht zu geben.

Dabei saß sie wahlweise vor dem Banner der „Arischen Bruderschaft“ mit den gekreuzten Stabhandgranaten des besonders grausamen SS-Sonderkommandos „Dirlewanger“ oder stellte sich an die Seite des Thüringer Hauptorganisators Thorsten Heise, der ein führender Kopf des rechtsterroristischen Netzwerk „Combat 18“ ist.

Ein weiterer Kamerad von Angela Schaller aus früheren Südthüringer Jahren wurde Ende 2022 als Rechtsterrorist verhaftet: Peter Wörner. Der ehemalige KSK-Soldat und Fallschirmspringer Wörner wurde von der Reichsbürger-Gruppe um Heinrich Reuß als führender Kader des militärischen Arms der Putschisten angeworben.

Er hatte als aktiver Soldat unter dem Anführer der Putschisten-Miliz, Rüdiger von Pescatore, gedient. Bei Durchsuchungen wurden bei Wörner u.a. zahlreiche Waffen, Handgranaten und Feindeslisten mit Namen von Politiker*innen und Journalist*innen gefunden.

Wörner leitete auch militärische Trainings und bereitete den Angriff auf den Bundestag und Bürohäuser der Bundestagsabgeordneten vor. Peter Wörner war früher als Survivaltrainer unter dem Namen „Abenteuer Überleben“ tätig.

Neben vielen klassischen Survivalübungen warb Wörner auch völlig offen für Kursinhalte wie Geiselnahmen. Kontakte Wörners zur Neonaziszene sind seit spätestens 2010 bekannt.

In Angela Schallers Youtube-Kanal findet sich sowohl der Link zu Wörners Homepage als auch ein einziges Video: Ein Gewitter im Jahr 2015, aufgenommen vor Wörners Haus in [Adresse und Ort aus rechtlichen Gründen Zensiert].

Gestern Morgen erhielt Angela Schaller per Mail einen Fragenkatalog zur ihrer Rolle in der Sonnenberger AfD, ihren Neonazi-Aktivitäten und ihrem Ostseeurlaub mit Robert Sesselmann. Nachdem sie eilig ihren Instagram-Account auf „privat“ geschaltet hatte, antwortete sie:

“*Ich bin seit 2019 nicht mehr in der rechten Szene aktiv und auch in keiner Partei mehr. *
Ich distanziere mich von jeglichem NS-Gedankengut, habe auch keinen Kontakt mehr zu den Personen von damals.

Da ich nicht mehr in der Öffentlichkeit stehe, muss ich Ihnen keine Angaben über mein Privatleben machen.
Es gibt das „Recht auf Vergessen“ Paragraph 17 DSGVO.
Sollten Sie versuchen, mich trotz meiner Distanzierung Veröffentlichungen über meine Person vorzunehmen oder über mich berichten, werde ich sofort wegen Verletzung meiner Persönlichkeitsrechte rechtliche Schritte gegen Sie einleiten.

Mit freundlichen Grüßen

Angela Schaller

Auf ihre Antwort hin erhielt Schaller mehrere Nachfragen: Wie verträgt sich die Distanzierung „seit 2019“ damit, im selben Jahr Pressesprecherin des größten Neonazi-Festivals gewesen zu sein?

Warum hat sie 2020 noch zum „Thing-Kreis“ mit dem Blood&Honour-Musiker Tobias Winter eingeladen?

Wie kommt es, dass sie noch Mitte 2020 Videos mit Reden von Ursula Haverbeck oder Meinolf Schönborn auf ihren Bitchute-Kanal lud?

Warum veröffentlichte sie noch im Mai 2024 ein Foto mit dem Neonazi Steffen Zedler, den sie zudem „lieben Kamerad“ nannte?

Und was ist mit ihrem Hakenkreut-Tattoo passiert?

gef gef gef

Auf all das antwortete Schaller nicht mehr.

Das Phänomen der plötzlichen „Ausstiege“, wenn öffentliche Kritik oder Verurteilungen drohen, ist altbekannt. Wir haben uns u.a. im Kontext der Recherchen zum Verbleib des Jenaer NSU-Umfelds ausführlich dazu geäußert („Als alle plötzlich ausgestiegen waren„).

Kurz gesagt: Nicht mehr hinzugehen, ist kein Ausstieg. Und bei einer Person wie Schaller, deren antisemitische Hetzvideos und -beiträge bis heute abrufbar sind und die noch im Mai freudige Wiedersehen mit Neonazi-Kameraden auf ihrem damals noch öffentlichen Instagram-Profil postet, braucht man gar nicht erst mit dem Thema „Ausstieg“ anzufangen.

Die Pressestelle des Landratsamtes erhielt zeitgleich mit Schaller einen Fragenkatalog. Mit Antwort von heute früh wurde mitgeteilt, dass Robert Sesselmann aufgrund von Außentermin nicht fristgerecht bis heute Morgen antworten könnte.

Das Problem an Sesselmanns Liaison mit Schaller sind weniger Rotweinabende unter Hitler-Porträts in Schallers Wohnzimmer in der [Adresse und Ort aus rechtlichen Gründen zensiert].

Das offensichtlichste Problem ist die öffentliche Aufwertung, welche die Naziszene durch gemeinsame Auftritte von Sesselmann und Schaller erhält. Beispielhaft für Robert Sesselmanns Beitrag zu dieser Strategie, Neonazis zu normalisieren, ist ein Urlaubsfoto, das er sehr wahrscheinlich selber geschossen hat.

Angela Schallers Instagram-Beiträgen nach zu urteilen waren Schaller und Sesselmann Pfingsten zu zweit an der Seebrücke Boltenhagen.

Eyyyy da war ich auch mal macht mir das jetzt nicht kaputt :(

Von dort veröffentlichte Schaller das Foto mit dem „lieben Kameraden Zetty“, der an der Seebrücke einen Getränkestand betreibt.

Fuck. Ich habe vielleicht was bei einem Fascho gekauft

Bei „Zetty“ handelt es sich um den Neonazi Steffen Zedler, dessen Betreuung des Standes von Mecklenburg-Vorpommern auf der „Grünen Woche“ 2023 für Schlagzeilen sorgte.

Die schwarze Sonne um seinen Hals war dabei noch das kleinste Imageproblem für das Bundesland: Zedler ist wie Schaller in der Unterstützung der Shoa-Leugnerin Haverbeck aktiv, mit dem „Heimat“-Bundesvorsitzenden Udo Voigt gut bekannt, und posierte im Netz mit Shirts mit der Aufschrift „Leibesstandarte Adolf Hitler“, mit „1933“-Pullovern oder Kutten des KuKlux-Klan.

Alleine die ideologische Nähe von AfD und Naziszene hat letztere stark ermutigt. Der Angriff vermummter Neonazis auf das Kulturkollektiv Goetheschule vergangenen Herbst steht dabei nur exemplarisch für die Militanz, zu der sich die rechte Szene von Sesselmann, Höcke und KameradInnen aufgerufen sieht.

Höcke beschäftigt den gut vernetzten Neonazi Martin Schieck für die Medienarbeit der Fraktion, Jürgen Pohl den Neonazi Benedikt Kaiser als Bundestagsmitarbeiter.

Bei einer Tarn-Werbeveranstaltung des faschistischen „Compact“-Magazins für die AfD in Mühlhausen, die im Anschluss an eine offizielle AfD-Wahlkampfveranstaltung am selben Ort begann, war kürzlich der Südthüringer Neonazi-Kader und stellvertretende „Heimat“-Bundesvorstand Sebastian Schmidtke als Ordner eingesetzt.

Die Botschaft dieser Zusammenarbeit ist deutlich: Für die AfD ist die Neonaziszene ein Pool ideologisch zuverlässiger und gut vernetzter MitarbeiterInnen und zukünftiger PartnerInnen.

Deren Gewalt ist dabei ganz im Sinne der Vertreibungs-Ideologie der AfD, die rassifizierte Menschen und politischen Gegner*innen in Zeiten ohne Exekutivmacht zum Rück- und Wegzug drängen soll, bevor die Machtverhältnisse auch aktive Verfolgung zulassen.

Es dürfte kaum verwundern, wenn Angela Schaller ihre weitreichenden Netzwerke zugunsten von Sesselmanns Landratsamt nutzen wird. In Zeiten wachsender Polarisierung ist auch ein Landrat Sesselmann auf MitarbeiterInnen oder AuftragnehmerInnen angewiesen, die ideologisch gefestigt und unverdächtig sind, Interna an die Öffentlichkeit oder parteiinterne Konkurrenz weiterzugeben.

Angela Schaller hätte hier ein ganzes Netzwerk an loyalen Rechten parat. Hinzukommt die Bedrohung, dass von Landrat Sesselmann sensible Informationen über Angela Schaller an die militante Naziszene abfließen, die in der Folge Geflüchtete und weitere politische Gegner*innen der Nazis in Gefahr bringen.

An Zuträger*innen und Whistleblower*innen aus dem Landkreis Sonneberg und anderswo: Wir nehmen immer gerne weitere Hinweise zu Robert Sesselmann, Angela Schaller und weiteren Personen aus deren Umfeld entgegen. Vertraulichkeit steht dabei an erster Stelle. Schreiben Sie uns gern eine Mail an: recherche-jena-shk(a)riseup.net

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